“Makro-Verwirrung durch Quanten?” von Dr. Dierk Spreen, Universität Paderborn

Schon im Physikunterricht lernt man, dass quantenmechanische Effekte in einem Bereich wirken, der der sinnlich-leiblichen Alltagserfahrung von Menschen nicht zugänglich ist. Der Fußball folgt am Tor anderen Regeln als das Photon am Spalt. Wenn aber Technologien, die die Gesetzmäßigkeiten im Nanobereich ausnutzen, in alltagsrelevante Anwendungen eingehen, werden dadurch gesellschaftliche Kommunikation, soziales Handeln und technologiebezogene Erwartungen beeinflusst?

Mindestens zwei Eigenschaften des Nanobereichs könnten sich im Rahmen technologischer Umsetzungen in den Bereich sozialer Erfahrung schieben. Erstens können Quanten-Verschränkungen im Bereich technologiegestützter Kommunikation ausnutzbar sein. Solche Verschränkungen können räumlich durchaus sehr große Systeme sein. Es bietet sich daher an, hier an informationstechnologische Anwendungen zu denken. Eine entsprechende Nutzung hätte aber zur Folge, dass Kommunikation als “Netz“ und nicht als Austauschprozess zwischen einzelnen Entitäten zu denken wäre. Zwar geistert die Netzmetapher schon länger durch kommunikationstheoretische Debatten; faktisch bleiben zumindest soziale Erfahrungen und Erwartungen aber an ein dialogisches Modell gebunden, wonach “Entitäten“ wie “Individuen“ oder “Apparate“ Informationen senden oder empfangen. Und selbst eine neue Theorie wie die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) führt mit dem “Akteur“ die agierende Entität, die sich vernetzt, noch mit und ebnet lediglich – und durchaus bezweifelbar – Unterschiede zwischen “Leben“ und “Technik“, “Mensch“ und “Maschine“ – ein.
Zweitens können mit der technologischen “Vergrößerung“ des Quantenbereichs auch die Fragen von Indeterminismus und Kausalität in den Bereich sozialer Erfahrung kommen.  Bislang hat die Quantenmechanik solche Probleme vor allem in weltanschaulicher Hinsicht aufgeworfen. Das berühmte Gedankenexperiment Schrödingers brachte dies zum Ausdruck, in dem es die Überlagerung verschiedener Quantenzustände in einen “lebensweltlichen“ Rahmen übersetzte und als Paradoxon einer zugleich lebendigen und toten Katze formulierte. Was für Folgen kann es haben, wenn sich die dem Paradoxon zugrunde liegenden indeterministischen quantenmechanischen Effekte im Bereich menschlicher Erfahrung äußern, weil die durch Nanotechnologie in diese Welt hinein gebracht werden? Das würde bedeuten, dass eine neue Qualität der Unsicherheit in den gesellschaftlichen Raum eintreten würde, denn diese neue Unsicherheit beruht nicht auf mangelnder Information.
In der “sozialen Physik“, wie die Wissenschaft von der Gesellschaft ursprünglich heißen sollte, ist man allerdings den Umgang mit Indetermination und Wahrscheinlichkeitsverteilungen durchaus gewohnt. Nicht zuletzt trachtet die Soziologie danach, Aussagen über kollektive Tatsachen zu machen (u. a. mittels statistischer Methoden), ohne dass daraus eine Aussage über das Handeln einzelner Individuen ableitbar wäre. Sie betrachtet die Moderne als eine zutiefst mit dem Problem der Unsicherheit konfrontierte Epoche. Fundamental für Interaktionsbeziehungen ist demnach “doppelte Kontingenz“, das heißt Verhältnisse mit “Wahlmöglichkeiten auf beiden Seiten“ (Niklas Luhmann). Der Aufbau sozialer Strukturen und Einheiten vollzieht sich darüber, dass diese Problematik steuerbar wird, dass also Kontingenz begrenzt wird. Dies geschieht etwa durch den Aufbau von Normen oder Machtstrukturen, die Kommunikationsangebote mit jeweils erwartbaren Antwortalternativen ausstatten. Allerdings ist die Formulierung von Normen oder der Aufbau von Machstrukturen selbst wieder kontingent, denn Normen, wie zum Beispiel Heiratsregeln, können kulturbedingt ganz verschieden sein und Macht ist ohnehin nur Menschenwerk. Die moderne Gesellschaft zeichnet sich nun dadurch aus, dass sie um diese “Kontingenzbegrenzung durch Kontingenznutzung“ (Michael Makropoulos) wiederum weiß und sie daher gezielt einsetzen kann. Normen werden reflektiert; Machtstrukturen stehen auf dem Prüfstand der Kritik usw. Vor diesem Hintergrund hat auch der moderne Mensch – idealtypisch ist das der Bewohner der hochgradig artifiziellen Lebensumwelt “Großstadt“ – eine gewisse Kompetenz im Umgang mit Kontingenzen erworben und übt sie täglich im Umgang mit Medien, Werbung Unterhaltung und Verkehr ein.
Vor diesem Hintergrund stellen sich natürlich Fragen über den “social impact“ einer neuen Technologie, die noch die bewährten Muster des Novums überschreiten könnte, auf die sich die Moderne eingestellt hat. Einerseits ist die moderne Gesellschaft den Umgang mit Kontingenz und Unsicherheit – etwas paradox gesprochen –  “gewohnt“.  Andererseits könnten nanotechnologische Umsetzungen, die über den Bereich neuer und vielleicht etwas “magisch“ wirkender Materialien hinausgehen (“Easy-to-clean“-Oberflächen etc.), eben diese Gewohnheiten irritieren. Was, wenn “Akteurs-Unterstellungen“ in Bezug auf vernetzte Kommunikationstechnologien oder der Anspruch Funktionssicherheit bei Apparaturen grundsätzlich nicht mehr greifen? Oder nehmen aktuelle Entwicklungen, wie zum Beispiel die Vernetzung von Smartphones und Tablet-PCs über eine “Cloud“ bereits Verschränkungs-Effekte vorweg? Man darf jedenfalls gespannt sein, ob und wie Nanotechnologie moderne Kontingenz-Kompetenz irritiert und falls ja, welche kulturellen Effekte damit verbunden sein werden.

Über den Autor

PD Dr. phil. Dierk Spreen, geb. 1965, ist Soziologe und Politologe sowie Akademischer Oberrat a. Z. am Fach Soziologie der Universität Paderborn. Forschungsbereiche: Sicherheit, Krieg und Gewalt, Medien und Massenkultur, Technisierung des Körpers, Weltraumfahrt. Publikationen: www.dierkspreen.de

2 Gedanken zu ““Makro-Verwirrung durch Quanten?” von Dr. Dierk Spreen, Universität Paderborn

  1. Die Nanotechnologie, genau so wie die Vernetzung von Smartphones und Tablet-PCs verwischt die Grenzen der Realität und der Virtuellen Welt. Sie können dazu beitragen, dass die faktische Freiheit, über welche die Menschen verfügen, nicht mehr so naheliegend erscheint und eine Kontrolle einfacher wird.

  2. Nach dem gestrigen 2. Nano-Kurzfilm-Festival ist der Blick etwas verändert. Thematisch ging es um das Erfühlen von Nano-Kosmos und den darin befindlichen Abläufen. Die Moderne hat uns vor viele Entscheidungen gestellt. Der Mensch entwickelt Werkzeuge, um besser entscheiden zu können und schafft dadurch neue Entscheidungshemmnisse, bedingt durch Bedienungsabläufe und Raumüberschneidungen (Virtualität und Realwelt). Hinzu kommt die Zeitkomponente. Paul Virilio beschreibt unsere Hilflosigkeit in der begrenzten Beschleunigung menschlichen Handelns und der damit verbundenen Gleichzeitigkeit von Handlungsabläufen. Der Mensch verliert sich dadurch und ist Gefangener seiner selbst entwickelten Werkzeuge und Technologien. Der Versuch das Problem logisch zu lösen, wie es der moderne Mensch gelernt hat, scheitert. Am Ende steht der Vernunftbegabte vor dem Rätsel, das Adam und Eva bereits lösen wollten. Ist nicht auch Erkenntnis etwas, das jenseits des Denkens stattfindet. Nano fühlen heißt Unvorstellbares als etwas Neues zu begreifen ohne es wirklich bändigen zu wollen. Der Versuch es dennoch zu wollen, kann gefährlich sein. Meine Hoffnung ist, dass die Begeisterung für diese Technologien mit Vorsicht und Behutsamkeit in unser tägliches Leben integriert wird.