Nanotechnologie – die unsichtbare Revolution in der Gesellschaft? Von Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl

Menschen trachten danach zu sehen, was bisher unsichtbar war, sie wollen entdecken, was bisher verborgen war. Dies gilt nicht nur für die Entdecker und Eroberer der Kontinente oder des fernen Kosmos, sondern gerade auch in der modernen Nanotechnologie. Die Vision praktisch in den Bereich der Moleküle und Atome vorzudringen kam zum ersten Mal auf mit dem berühmten Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman, der schon vor fünfzig Jahren davon gesprochen hat, dass die Prinzipien der Physik nicht dagegen sprechen, Atom für Atom Dinge zu bewegen. Und er hat gesagt: “Das ist sicher nicht ein Versuch, irgendwelche physikalischen Gesetze zu verletzen, aber es ist etwas, was zwar im Prinzip getan werden kann, aber in der Praxis ist es einfach noch nicht möglich gewesen, weil wir zu groß sind.“ Unsere Hände und Finger sind nun mal Zentimeter groß, wie sollen wir damit einzelne Atome bewegen können? Wie sollen wir, fragte Feynman, das Vaterunser “on the head of a pin”, also auf den berühmten Stecknadelkopf schreiben? Aber er sagt eben auch: Die Physik, die Quantenmechanik, die Naturgesetze sprechen nicht dagegen, dass das eines Tages möglich sein wird. Und er hat sich sicher nicht gedacht, dass es so schnell geht, daß das möglich ist. Heute ist es möglich.

Wir verdanken das einer Erfindung von Gerd Binnig und Heinrich Rohrer. Die beiden haben dafür 1986 den Nobelpreis für Physik bekommen. Es ist die Erfindung eines Mikroskops, das zum ersten Mal zeigen konnte, dass dieses alte griechische Konzept, dass die Welt, die Materie – die lebende wie die tote Materie – aus einzelnen kleinsten runden Teilchen aufgebaut ist, stimmt – weil man zum ersten Mal mit Hilfe einer kleinen Nadel, die atomar spitz ist, mit dem Rastertunnelmikroskop Atome und Moleküle sichtbar machen kann.

Das ist eigentlich nichts besonders Unbekanntes. Schon Giordano Bruno hat im Jahr 1599 eine Zeichnung eines Atoms gemacht und da eine runde Kugel gezeichnet. Dass er mit dieser Vermutung nicht ganz falsch lag, zeigten dann auch die ersten Bilder von Atomen, die Gerd Binnig erzeugt hat mit seinem Rastertunnelmikroskop. Da sieht man, dass Atome ein wenig ähnlich wie Kartoffeln aussehen, wie einmal der Münsteraner Anzeiger in den 80iger Jahren gechrieben hat, also irgendwie als runde Teilchen erscheinen, die man wirklich einzeln sehen kann. Sie existieren. Es gibt sie. Die Welt der Materie, das Konzept von Demokritos stimmt. Wir können sie nicht nur sehen, sondern wir haben ein Instrument zur Verfügung, das auch als Nanowerkzeug benutzt werden kann. Nicht nur sehen, sondern arbeiten auf der atomaren Skala ist möglich geworden. Das “kleinste Loch der Welt”, ein atomares Bit, ist Sinnbild der neuen Möglichkeiten, dass man gezielt einzelne Atome, wie hier ein Schwefelatom aus einer Kristalloberfläche herauslösen kann.

Wir sprechen also über ganz kleine Skalen, über Nanos (Nanos, griechisch: der Zwerg). Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter, ist also neun Größenordnungen, neun Nullen kleiner als ein Meter. Aber besonders interessant ist die Tatsache, dass wir normalerweise mit ca. einem Kubikmeter an Materie arbeiten, wenn wir irgendetwas industriell herstellen, etwa die Größenordnung. Wenn wir aber in Zukunft nur noch einen Kubik-Nanometer bearbeiten, dann brauchen wir 27 Größenordnungen weniger an Atomen, an Material, an Energieaufwand und letzten Endes auch an Entsorgungsaufwand, wenn wir in der Lage sind, in Zukunft auch nanometrisch zu produzieren. Das kann man nicht schlagen. Die heutige Technik ist natürlich groß, das Erfolgsmodell der heutigen Technologie ist zum großen Teil auch geschuldet der Tatsache, dass wir große Maschinen herstellen konnten, mit denen wir uns sozusagen das Leben erleichtern konnten. In Zukunft wird die Technik klein, kleiner und noch kleiner werden.

Eine Definition von Nanowissenschaft könnte etwa so lauten: Wir wollen verstehen, wie sich die Natur auf einer Skala von einzelnen Atomen und Molekülen verhält. Die Technologie ist natürlich dann die Umsetzung dieses Wissens. Wir wollen versuchen, auf der Nanoskala neuartige Materialien herzustellen oder auch Produkte, die dadurch entstehen, dass wir in der Lage sind, Atom für Atom vorherzusagen, was bei diesen Materialien passiert. Nanotechnologie ist also wirklich eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts, weil sie eine Querschnittstechnologie ist. Das heißt, wir brauchen sie nicht nur in der Halbleiterphysik, in der Quantenphysik, wir brauchen sie in der Elektronik, wir brauchen sie in der Informationstechnologie, in den Materialwissenschaften bis hin zur Nanomedizin und zur Nanobionik. Heute schon begegnet uns die Nanotechnologie in all den Beschichtungsverfahren, die man unter dem Stichwort Lotos-Effekt kennt, sogar im Supermarkt.

Nanotechnologie und Nanowissenschaften haben also das Potenzial unser Leben in Zukunft entscheidend zu beeinflussen, etwa durch Materialien mit neuen Eigenschaften, medizinischen Anwendungen und einer umweltverträglicheren Energieerzeugung, um nur einige Beispiele zu nennen. Jedoch ist die öffentliche Wahrnehmung über das wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenzial von noch sehr gering, trotz einiger bereits auf dem Markt befindlichen Produkte. Zudem kommen in Bezug auf ethische, soziale und legislative Aspekte (z.B. Kennzeichnungspflicht von Produkten, die künstlich hergestellte Nanopartikel enthalten) Bedenken hoch. Aus diesen Gründen ist ein öffentlicher Dialog eine dringende Notwendigkeit, um einen vernünftigen Umgang mit der Nanotechnologie zu ermöglichen.

Science Center und Museen sind für solche Aktivitäten ein ideales Forum. Sie präsentieren Informationen in einer in einer neutralen Umgebung und bieten dadurch den unterschiedlichsten Teilnehmern die Möglichkeit, Ideen auszutauschen und einen öffentlichen Diskurs zu führen. Auch das Deutsche Museum beteiligt sich durch seit seiner Gründung im Jahr 1903 an dieser Aufgabe, durch Präsentation von Meisterwerken der Wissenschaft und Technik und Kommunikation darüber den Menschen Teilhabe an der naturwissenschaftlich-technischen Kultur zu ermöglichen.
Darüber zeigt das Deutsche Museum seit 2005 in seinem gläsernen Forscherlabor wissenschaftliche Forschung ‘live’ in der Öffentlichkeit. Inmitten der Ausstellungen findet Nano-Forschung statt, arbeiten Doktoranden an ihrem Instrument und stehen Museumsbesuchern Rede und Antwort. Hier findet der viel beschworene Dialog zwischen Forscher und Laie – und künftigem Forschernachwuchs – statt. Zudem erzeugt dieser Ansatz eine neue Art von Vorbildern: Jugendliche, die über eine Karriere in der Forschung nachdenken, haben die Möglichkeit, junge Wissenschaftlern zu begegnen. Diese wiederum werden begreifen, dass Kommunikation ein selbstverständlicher Teil ihres Berufs sein muss.
Auch wurde dieses innovative Konzept bereits exportiert – als Koordinator des EU-Projekts ‘NanoToTouch’ unterstützte das Deutsche Museum andere Science Center und Museen in Europa dabei, in Kooperation mit örtlichen Universitätspartnern ähnliche gläserne Labore zu errichten. Dadurch wird in ganz Europa Wissenschaftskommunikation mit einem neuen Ansatz betrieben nach dem Motto Begreife den Wissenschafts- Forschungs- und Erkenntnisprozess und den Menschen dahinter. Diese Verflechtung von Dialog und Forschung ist eine direkte Antwort auf die Forderung nach mehr Transparenz und Zugänglichkeit in der Wissenschaft. Auch werden die Besucher dadurch aktiv in einen immer wieder von der Politik und den Wissenschaftsorganisationen geforderten Bürgerdialog eingebunden.

Auch im Zentrum für Neue Technologien im Deutschen Museum, einer neuen Dauerausstellung, nimmt die Debatte über die Nanotechnologie eine wichtige Rolle ein. Durch die Verbindung einer Kernausstellung über Nano- und Biotechnologie mit Laboren und einem Veranstaltungsbereich wird diese Ausstellung für die breite Öffentlichkeit zu einem einzigartigen Ort für Begegnung mit und Dialog über Wissenschaft und Technologie.

Es wird deutlich, dass, wie bei allen neuen Technologien, ethische Aspekte berücksichtigt werden müssen. Nicht alles, was man machen kann, ist auch sinnvoll zu tun und ethisch vertretbar. Deshalb gibt es die fruchtbare Debatte, die sehr früh im Bereich der Nanotechnologie begonnen wurde, früher als bei Aufkommen manch anderer neuer Technologien – denkt man nur an Atom- oder Gentechnologie – die die Chancen und Risiken auslotet.
Auch die nationale Akademie für Technikwissenschaften, Acatech, hat sich in einem Themennetzwerk der Technologieberatung in diesem Bereich gewidmet. Aber auch jeder Bürger ist dazu aufgerufen, die Zukunft mit zu gestalten. Denn zukünftige Technologie entwickelt sich, davon bin ich fest überzeugt, innerhalb einer Kultur und nicht allein im Labor. Nehmen Sie teil an dieser Entwicklung und mischen Sie sich ein. Diskutieren Sie mit uns Chancen und Risiken, aber vergessen Sie nicht, dass die Chancen bei dieser technologischen Entwicklung ungeheuer groß sind und wir heute in einer Art und Weise leben, die uns nur möglich geworden ist, weil es sehr viele Ingenieure, Techniker, Naturwissenschaftler, Entdecker gab, die uns dieses heutige Leben ermöglicht haben. Ob die Errungenschaften der Nanotechnologie einmal eine “zweite Genesis” ermöglichen werden, wie es Gerd Binnig einmal ausgedrückt hat, das liegt nicht nur an den Wissenschaftlern und ihren Erkenntnissen, es liegt auch daran, ob wir als Gesellschaft insgesamt diesen Weg gehen wollen.

Literatur:

  1. Begreife den Wissenschaftler, nicht nur die Wissenschaft – Gläserne Forschung im Deutschen Museum , W.M. Heckl: in: DFG Jahrbuch 2007
  2. Public understanding of research: the Open Research Laboratory at the Deutsches Museum, Paul Hix and W.M. Heckl, in Successful Science Communication-Telling It Like It Is, Eds. David. J. Bennett and Richard C. Jennings, Cambridge University Press 2011, S. 372-383

Über den Autor

Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl ist Generaldirektor des Deutschen Museum und Inhaber des “Oskar von Miller Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation” an der Technischen Universität München.